Wir

Jewgenij Samjatins Wir, ein berühmtes Werk der modernen russischen Literatur, liest sich so spannend und aufregend, wie es sich für einen Zukunftsroman gehört. Der Konstrukteur des ersten Raketenweltraumschiffes, des Integral, berichtete in einem Tagebuch von dem Leben seiner Zeit, dem Leben der Zukunft.
In einer strahlenden, kristallen durchsichtigen Stadt leben die Bürger ohne Not, ohne Sorgen, selbst ohne Nachdenken dahin. Nach exakten mathematischen Gesetzen hat der Staat alles zum Besten geordnet: Essen und Wohnen, Arbeit und Freizeit, Wissenschaft und Politik. Sogar das Liebesleben ist mathematisch geregelt, denn der Staat gibt rosa Bons für „sexuelle Stunden“ aus. Diese technische Welt ist faszinierend und praktisch, doch bei näherer Betrachtung enthüllen sich ihre Schattenseiten. Durch die Glaswände der Häuser kontrollieren „Beschützer“, das heißt Geheimpolizisten, jede Regung der Bewohner, damit sie nicht durch Eigenmächtigkeiten den reibungslosen Ablauf ihres materiellen Wohlergehens gefährden. Für ihr mathematisches Glück haben die Menschen ihre Freiheit opfern müssen.
Bei der Niederschrift seines Tagebuchs entdeckt der Konstrukteur des Integral plötzlich, daß in seinem Innern dunkle Triebe aus einer längst vergangen geglaubten Zeit lebendig sind. Er ist von einer unheilbaren Krankheit befallen; es hat sich bei ihm „eine Seele gebildet“. Die ganze seelenlose Ordnung der technischen Welt gerät durcheinander, der Konstrukteur vernachlässigt seine staatsbürgerlichen Pflichten, verläßt das Mädchen, das ihm laut Kontrollzettel zugeteilt ist, und folgt einer fremden, von Geheimnissen umgebenen Frau, die ihn in eine Revolution gegen die Tyrannis des „Einzigen Staates“ verwickelt. Das Sensationelle an dem Buch Samjatins ist, daß es 1920, also Jahrzehnte vor den totalitären Visionen Huxleys und Orwells, geschrieben ist; beide Schriftsteller haben von ihm gelernt. Von Beruf Ingenieur, seiner Parteizugehörigkeit nach Bolschewik, der schon an der Meuterei des Panzerkreuzers Potemkin teilgenommen hat, war Samjatin in der Lage, sowohl die technischen wie die politischen Perspektiven unseres Zeitalters vorwegzunehmen, die Weltraumrakete und die Geheimpolizei, die Gehirnchirurgie und die Elektronenmuik wie den Eisernen Vorhang, die Einheitswahlen und den Rassenwahn.
George Orwell schrieb 1945 über Samjatins Wir: „Es ist ein Buch, das man sich sichern soll, wenn eine neue Ausgabe erscheint.“

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