Der Schatten des Windes

Carlos Ruiz Zafón, in Spanien eher bekannt als Autor von Kinder- und Jugendbücher, schreibt mit „der Schatten des Windes“ seinen ersten grossen Roman. Es ist ein sehr umstrittenes Buch. Die einen loben Zafón’s unglaubliches Geschick Spannung aufzubauen und die intelligent verschachtelten Handlungsstränge. Andere finden, dass der historische Hintergrund der Geschichte zu wenig beleuchtet wird . Diese grosse Bandbreite an Meinungen war für mich Grund genug, selbst die Tiefen dieses Buches zu ergründen.

In genau zehn Kapitel erzählt uns Carlos Ruiz Zafón die Geschichte Daniels, der allein mit seinem Vater im Barcelona der Franco-Ära lebt. Während den Jahren 1945-1966 begleiten wir Daniel auf eine Reise in eine längst vergessene Vergangenheit

Wir befinden uns im düster-grauen Barcelona der Nachkriegszeit. Der elf-jährige Daniel Sempere schreckt schreiend aus seinem Traum. Er kann sich nicht mehr an das Gesicht seiner verstorbenen Mutter erinnern. In jener Junimorgendämmerung des Jahres 1945 zeigt ihm sein Vater den „Friedhof der vergessenen Bücher“. Jeder, der diesen Ort zum ersten Mal betritt, hat die Aufgabe ein Buch zu wählen.  Auch der junge Daniel irrt staunend durch dieses unendliche Labyrinth. Auf der Suche nach dem Buch, dessen Verschwinden er zu verhindern hat. Und er findet es. „Gebunden in weinrotes Leder stand es schüchtern am Ende eines Bords und raunte seinen Titel in Goldlettern, die im Licht der Kuppel leuchteten: "Julián Carax. Der Schatten des Windes".

Von diesem Tag an wird dieses Buch und seine Geschichte Daniel nie mehr loslassen. Tief beeindruckt von Carax’s schriftstellerischem Talent, beschliesst er, mehr über diesen in Erfahrung zu bringen. Mit der Zeit tauchen viele Rätsel um die Vergangenheit und den Tod des  Schriftstellers auf. Während Daniel sich bemüht diese zu lösen , gleicht sein eigenes Leben immer mehr demjenigen Carax’s. Als eine Figur aus „der Schatten des Windes“ ihn beginnt zu verfolgen, sieht er sich gezwungen, sein Buch wieder in die schützenden Hallen des Friedhofs der vergessenen Bücher zu bringen . Es ist Laín Coubert, der Bücher rauchende Teufel, der alles daran setzt, Carax’s gesamtes Werk zu verbrennen. In einer regnerischen Nacht findet Daniel einen treuen Gehilfen auf der Suche nach der Wahrheit um Julian Carax: Fermin Romero de Torres. Ein ehemaliger Spion der, seit Franco an die Macht gelangte, von der Polizei gesucht wird. De Torres erweist sich als grossen Menschen- und vor allem Frauenkenner mit viel Humor. Während der Wirren des Bürgerkrieges fiel er in die Hände des hinterhältigen Inspektor Fumero. Er ist die Versinnbildlichung des Bösen und immer noch auf der Suche nach Fermin. Daniel und de Torres, der nun im Buchladen von Daniels Vater arbeitet, intensivieren im Jahre 1954 ihre Suche nach Carax. Stets verfolgt von jenen, die, die Vergangenheit lieber vergessen wollen.

Der Beginn des Schauerroman „Der Schatten des Windes“ ist grandios. Fasziniert von der Beschreibung des Friedhofes, folgt man Daniel in die Welt der Bücher.  Diese beschreibt Zafon mit prachtvollen und wunderschönen Sätzen wie „wenige Dinge prägten einen Leser so sehr wie das erste Buch, das sich wirklich einen Weg zu seinem Herzen bahne. Diese ersten Seiten begleiten uns ein Leben lang und meisseln in unserer Erinnerung einen Palast, zu dem wir immer wieder zurückkehren werden“. Im Verlauf des Buches geht diese poetisch Note immer mehr verloren und macht, einer durchaus gelungenen, jedoch auf Spannung reduzierten Erzählweise platz. Die einzelnen Handlungsstränge verdichten sich zunehmend und gehen in einander über, was den Lesefluss zwar nicht stört, jedoch voraussetzt, dass  keine grösseren Lesepausen gemacht werden. Sehr gelungen fand ich, wie sogar Rückblenden in die Vergangenheit Carax’s die Geschichte vorantreiben. Zu etwas Besonderem machen dieses Buch aber die Menschen, die darin vorkommen. Erst Figuren wie Fermin, einer Quelle der Weisheit oder, der nur in Fremdwörtern sprechende Barcelo, hauchen „dem Schatten des Windes“ eine Seele ein. Danach beschreibt Zafon aber auch Figuren, welche für den Verlauf der Geschichte absolut unwichtig sind, sehr genau. Ich genoss diese Personenvernarrtheit, den ein oder anderen könnte sie jedoch stören. Die zehnjährige Arbeit Zafon’s als Drehbuchautor spürt man vor allem, wenn dieser Barcelona beschreibt. Er zeichnet die Stadt wie eine schaurige Kulisse, die, in Nebel gehüllt, nur darauf wartet, den Leser in seine engen, verwinkelten Gassen zu entführen. Wer Barcelona liebt wird dieses Buch bestimmt auch lieben.  Das einzige, was mich an „Der Schatten des Windes“ gestört hat, ist der Schluss. Hätte Carlos Ruiz Zafón sein Buch zwei Kapitel früher beendet, wäre dem Leser ein „schnulziges“ Ende erspart geblieben. Empfehlen muss man dieses Buch trotzdem. Und zwar all jenen, die sich nicht daran stören, dass sie hier keine grosse Literatur erwartet, und sich lieber auf eine Geschichte freuen, welche von der Freude eines Autors lebt, Personen und Schauplätze herrlich genau zu beschreiben.

© by Nina Horbaty, 2007

zurück zur Liste
(Wenn du nicht von einer Liste, sondern von einer anderen Buchbeschreibung hierher gelangt bist, musst du diese "Zurück"-Taste mehrfach drücken! 'tschuldigung!)